Die Prinzipien des Übens
Natürlich wurde für jede Kampfkunst ein Übungsrepertoire zusammengestellt, das in den Trainings vorgestellt und vermittelt wird. Doch wichtiger als diese konkreten Übungen, die sich ohne jegliche Vorkenntnis der Kampfkünste schlecht einsetzen lassen, sind die Prinzipien, die hinter den Übungen, die Prinzipien des Übens.
Kampfsporttreibende verfügen über eine reichhaltige Auswahl verschiedenster Vorbereitungs-, Entspannungs-, Atem- und Kräftigungsübungen zuzüglich des gesamten Technikarsenals ihres Sports. Aber auch Sportler aus anderen Bereichen verfügen über ein breites Repertoire an körperlichen und eventuell auch geistigen Übungen, die sich gemäß der jetzt vorgestellten Prinzipien des Übens einsetzen oder abändern lassen. Dabei gibt es kein richtig oder falsch in Form eines Urteils über die Korrektheit der Körperhaltung bei einem Block oder Fußtritt oder auch einem Felgaufschwung, sondern nur das Gefühl, ob man weiterkommt, es einem gut tut oder nicht.
Viele von uns, wir auch, haben früher gelernt, dass man eine Übung solange durchführen soll, bis sie schmerzt – und dann noch ein bisschen weitergehen. Das ist physiologisch gesehen Unsinn, und es härtet auch den Geist nicht ab. Doch keine Angst, die Prinzipien des Übens sind keine Kaffeefahrt und auch nicht Bestandteil des Programmes „Gewaltfreies Töpfern in der Toskana“. Wir reden immer noch von einer Kampfkunst, und wie ausgeführt wurde ist Kampf mit Anstrengung gleichzusetzen. Wer sich auf die Prinzipien des Übens einlässt und sie anwendet wird schnell herausfinden, dass es einer großen Anstrengung und Disziplin bedarf, um dabei zu bleiben, denn man kann durchaus bis ans Äußerste gehen, auch ohne sich die Knöchel bei einarmigen Liegestützen auf dem Asphalt blutig zu drücken.
Worauf man sich einlässt beim Üben, das sind durchaus Anstrengungen. Es kostet Disziplin sie wirklich durchzuhalten – nicht beim ersten Mal, aber später, nach den vielen Malen, die nötig sind, um echte Veränderungen von Körper und Geist zu bewirken. Wer aber mit offenen Sinnen in sich hineinlauscht, wird auch schnell die Anfänge positiver Veränderungen bemerken. Veränderungen, zu deren Eintreten man sich auch nicht auf Glaubensfragen und bestimmte spirituelle Modelle einlassen muss. Die Prinzipien des Übens wirken vollkommen unabhängig von der Weltanschauung der Übenden, einfach weil sie auf den Menschen und seine geistigen und körperlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind, ein Zuschnitt, der in Fernost in Jahrtausenden auf Grund von Erfahrungen entwickelt wurde. Und ein Zuschnitt, der in verschiedensten Formen auftreten kann – Taichichuan, Qigong, Baguazhang, Yoga, den äußere Kampfkünste, den Waffenkampfkünsten – und dessen Prinzipien sich doch einheitlich zusammenfassen lassen.
1. Entspannung, Ruhe, Natürlichkeit – Die Mühe versaut alles!
Shuto uchi mit dem Schwert – das heißt, das Schwert einfach fallen lassen, denn es kennt den Weg. Wozu es also an der Leine führen? Man droht nur, seinen geraden Weg zu verreißen. Das Prinzip der Natürlichkeit bedeutet, vom Ziel her zu denken (das Ziel ist magnetisch und zieht das Schwert an), sich also zu fragen, wo will ich hin. Das Ursache-Wirkungsprinzip ist zutreffend für die Physik, aber nicht unbedingt da, wo Menschen involviert sind. Alles, was verkrampft geschieht, funktioniert nicht richtig. Ist die Natürlichkeit nicht gegeben, verliert man auch die Wahrnehmung und damit das Ziel des Handelns. Ist die Natürlichkeit gegeben, so stellen sich Ruhe und Entspannung von selbst ein. Wenn man schon unnatürlich steht, so setzt man den Körper und eine Anspannung, die vor dem Ausführen der Übung unangemessen ist und die Ausführung selbst behindert – das weiß jeder Schüler, der es nach einem halben Jahr des Trainings versuchte, es den Meistern gleichzutun und genauso tief wie sie im Reiterstand zu stehen – der aus dem Stand geforderte Fußtritt wird weder schnell, noch kraftvoll, noch präzise auslösbar gewesen sein.
2. Vorstellungskraft und Qi
Die Vorstellungskraft steuert die Energien, das Qi. Hast Du ein Ziel, stell Dir vor, Du seiest schon da. Das ist natürlich eine Übungs- und Einstellungsfrage. Bis man dahin gelangt, heißt es arbeiten, arbeiten, arbeiten. Alles was wir tun erfordert den Einsatz von Energie. Energie, die man sich wie einen Strom vorstellen muss, der die Körperteile verbindet und gelenkt und gebündelt werden kann, um Bewegungen und Gedanken zur Ausführung kommen zu lassen. Doch wie gelangt die Energie dahin, wo sie hin soll? Zunächst muss der Weg frei sein – damit sind wir wieder bei der Natürlichkeit, denn nur in der entspannten Ruhe ist der Körper durchlässig für den Energiestrom. Aber dann muss die Energie gerichtet werden. Etwas muss ihr vorangehen und ihr den Weg weisen: Fließe dorthin! Das ist die Vorstellungskraft, die das Qi dorthin lenkt, wo es hingelangen soll. Übrigens funktioniert das sogar, wenn man nicht an das Qi glaubt. Sind die Wege nur frei – befindet sich also der Körper in einer Stellung, die den Energiefluss zulässt – und denkt man nur an das, was man vollbringen will, etwa die Kraft eines Fauststoßes in ein Makiwara zu bringen, so wird sich das Qi auch entsprechend bewegen. Nur ist die Intensität dieser Bewegung von harter Übungsarbeit abhängig. Riten sind ein guter Weg, die Energiearbeit zu unterstützen. Wichtig ist, dass man bei sich und der Sache ist und Riten markieren genau dieses bei sich sein.
3. Bewegung und Ruhe
Bewegung und Ruhe bilden eine Polarität. Entweder man befindet sich in einem oder im anderen. Polarität scheint eine Unvereinbarkeit, vielleicht sogar eine Feindschaft zu bezeichnen. Doch das stimmt nicht, Bewegung und Ruhe ergänzen einander – im körperlichen bereich genauso wie im geistigen.
Die Ruhe allein ist statisch, nichts käme zur Ausführung, gäbe es sie alleine. Die Dynamik der Bewegung ist aber nur sinnvoll, wenn sie aus einer Planung in Ruhe entsteht und kann nur beurteilt werden, wenn nach der Bewegung – in Ruhe – eine Rückschau auf die Ergebnisse des Bewegungsablaufs erfolgt. Zudem kann nur die Ruhe die Energie für die Bewegung liefern, und die Energie ist sinnlos, wenn sie nur in statischer Ruhe gehalten wird. Im normalen Leben meint das auch die strategische Ausrichtung; die Polarität bedeutet, zuerst das Konzept oder die Maßnahme zu entwickeln, sie dann aber auch durchzuführen. Eine Kunst besteht natürlich darin, den richtigen Zeitpunkt finden. Und flexibel zu bleiben, Energien für den Plan B bereitzuhalten, denn der erste Feindkontakt (der erste Widerstand) lässt jeden Plan sowieso zusammenbrechen. Mag die Erkenntnis der Komplementarität von Ruhe und Bewegung auch einleuchtend sein, so gehört zur Einschätzung des wann und wie und der Flexibilität allerdings wieder eine lange, reiche Erfahrung des Übens.
4. Oben leicht, unten fest
Ohne eine vernünftige Basis ist keine Handlung möglich, der sichere Stand ist bei allen Handlungen die Grundlage, mit der alles steht – oder fällt. Auch wenn die Analogien vom verwurzelten Bambus, den kein Wind ausreißen kann, oder von ähnlichen Gewächsen oder Tieren abgenutzt erscheinen mögen, ändert das nichts daran, dass das Prinzip zutrifft, und zwar im körperlichen wie im geistigen Sinn.
Denn sowohl in Fragen des Gefühls als auch in Fragen der Überlegung und des Wissens und natürlich in allen sportlichen, körperlichen Unterfangen geht jeder Erfolg von einer haftenden Basis aus und wird mittels beweglicher, darüber liegender Organe erreicht. Mann kann Liebe zu anderen nur entwickeln, wenn man sich selbst liebt, also unten, im Ego, eine feste Basis hat. Anderen gegenüber aber muss man beweglich – also oben leicht – gegenübertreten, nur so kann man die Kombination aus Missverständlichkeit, Andersartigkeiten, Rücksichtnahme und Bewahrung der eigenen Interessen, die das zwischenmenschliche Miteinander kennzeichnen, ertragen und den anderen lieben lernen. Oder wenigstens lernen, ihn nicht zu hassen. Der Intellekt und seine rationalen Kapazitäten müssen aus der festen Basis eines möglichst tiefen und breiten Wissen schöpfen, um zu angemessenen Schlussfolgerungen und Entscheidungen zu kommen. Will der Intellekt aber nicht in Dogmatismus und Unbelehrbarkeit verfallen, braucht er ein großes Maß an Flexibilität, um neue Einflüsse aufnehmen und abwägen zu können. Dass man im (Kampf-)Sport auf sicherer Basis stehen muss, um sich effektiv bewegen zu können, braucht an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt zu werden.
5. Das richtige Maß
Das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Das richtige Maß kann aber jeder nur selbst finden. Dies ist wiederum eine Frage der Erfahrung, denn schon der Alltag zeigt, dass die Unerfahreneren (die jungen Leute) sich in der Regel schneller in Schwierigkeiten bringen als die Erfahreneren. Trotzdem kann jeder sofort damit beginnen, auf das rechte Maß zu achten.
Man muss ehrlich in sich hineinhören, um zu erspüren: Wo bin ich überlastet? Aber auch: Was hätte ich mir durchaus noch zutrauen können? Denn die Suche nach Herausforderungen darf man auch nie sein lassen, sonst kommt es zum Stillstand. Da es aber im Leben sonst nie zum Stillstand kommt, sondern alles Veränderungen unterliegt, verliert, wer stillsteht, die Möglichkeit, die Bewegungsrichtung der Veränderungen zu beeinflussen und wird einfach mit fortgeschwemmt.
6. Entwicklung
Entwicklung findet sowieso statt, denn Leben ist Veränderung. Aber in welche Richtung findet Entwicklung statt. Das kann man beeinflussen, wenn man sich seiner selbst illusionslos bewusst ist. Eine große Gefahr bei der Selbstentwicklung besteht darin, dass man nur seine Stärken ausbaut und den Schwächen aus dem Weg geht. Das ist natürlich leichter, aber was bringt mehr? – den Yoko Geri noch eine oder zweihundertstel Sekunden schneller rausschnappen lassen zu können oder endlich mal richtig an die Blocktechniken zu gehen, die alle immer ein bisschen unsauber kommen? Der Tritt macht vielleicht mehr Spaß, aber gute Blöcke verhindern, dass dich Tritte treffen.
7. Was ist gut daran, dass du etwas nicht kannst?
Das du es noch erlernen darfst! Wenn du nur gewinnst, lernst du nichts. Übertragen bedeutet das, zu wissen: Was sind meine echten Kompetenzen, Talente und Fähigkeiten.
Zuerst lernt man zu stehen – das Prinzip „oben leicht, unten fest“ – dann aber muss man gehen, lernt laufen und – vielleicht – zu fliegen. Wie wird man seiner echten Kompetenzen gewahr? Ladet euch selber ein zu einer „Konferenz eurer Kompetenzen“, um den Unterschied von Vision und Kompetenz aufzudecken! Fragt eure Kompetenzen was sie brauchen, um zu wachsen. Und zwar was sie von EUCH dazu brauchen. Eine illusionslose Selbstanalyse ist vonnöten. Und auch wenn das, was dabei rauskommt, einem nicht unbedingt gefällt und man einiges doch anders eingeschätzt hätte heißt es, die Analyse nicht zu verneinen und ihre Ergebnisse überall einzusetzen. Immer muss man sich fragen: Wie kann ich meine Kompetenz für diesen Zweck einsetzen? Und dazu muss ich mich vom Ziel her nähern – die Prinzipien der Entspannung und der Vorstellungskraft beweisen ihren Nutzen. Und alles Handeln wird an die Kompetenzen geknüpft.
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